Ein Beschluss, der für ordentlich Gesprächsstoff bei uns sorgte – dass ist das Urteil, welches am 23.09.2020 das Oberverwaltungsgericht in NRW fällte. Ausgangspunkt ist hierbei, dass das OVG nun verlangt, dass beide Elternteile arbeiten müssen, wenn der Kitaplatz des Kindes im einstwilligen Rechtschutz – also im Schnellverfahren – durchgesetzt werden soll. Wir haben uns den Fall Mal genauer angesehen und wurden stutzig …
Antrag auf Kitaplatz abgelehnt
In der ersten Instanz hatte das Verwaltungsgericht noch im Sinne des Kindes und der Eltern entschieden. Ausschlaggebend für die Änderung des Beschlusses der 1. Instanz, ist eine Beschwerde durch das Jugendamt. Der Antrag einer Familie blieb ohne Erfolg – es wurde kein Kitaplatz zugeteilt. Die Gründe für einen Anordnungsgrund reichten dem Gericht nicht aus. Die Eltern vermitteln schlichtweg keine glaubhafte Dringlichkeit laut OVG. Das Gericht legt offen, dass der Anspruch zwar klar gegeben ist, aber für ein schnelles Verfahren nicht ausreiche. Grund dafür ist die Arbeitssituation der Eltern. „Nur“ der Anspruch auf einen Kitaplatz ist seitens des Gerichts als Begründung zu wenig. Da die Kindesmutter ihren zukünftigen Ausbildungsplatz nicht näher beschrieb, sondern vor Gericht „nur“ vermittelte, dass sie diesen ohne Betreuungsplatz verliere, nannte der Richter dies als „derart substanzlos“: Das bedeutet also, dass es bei den Eltern für eine Dringlichkeit aus beruflichen Gründen nicht ausreichte. Hierbei muss man wissen, dass es in einem “normalen” Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gerne 11 Monate bis zu einem Urteil dauert. Und Eltern die klagen, warten schon Wochen, Monate oder Jahre auf einen freien Kitaplatz.
Frühkindliche Erziehung missachtet
Aber wie sieht es eigentlich mit dem Kindeswohl aus? „Kaum bis wenig“ soziale Kontakten mit gleichaltrigen Kindern ist für das OVG NRW kein Anordnungsgrund für einen Betreuungsplatz. Dass dem Kind schwere und unzumutbare Nachteile ohne naheliegende Betreuungseinrichtung drohen kann, wird komplett missachtet. Für uns ist dieser Fall nicht nachvollziehbar. Denn: Frühkindliche Erziehung ist wichtig. Sie legt den Grundstein für die folgende Bildung und Entwicklung des Kindes. Durch den Kontakt mit Gleichaltrigen können sie erste soziale Kompetenzen erwerben. Kinder im Alter von 1-6 Jahren lernen so mit ihrer Umgebung zu interagieren, gesunde Bindungen mit den Personen in ihrem Umfeld aufzubauen und zu pflegen und bekommen Stück für Stück ein Bewusstsein für sich.
Andere Regelung in Sachsen
Im Gegensatz dazu zeigt ein Gerichtsbeschluss aus Sachsen, dass es auch anders geht. Hier bekam eine Familie Zuspruch von Seiten des Gerichts. Es wurde richtigerweise nicht auf die berufliche Situation der Eltern geschaut, sondern allein darauf, was für das Kind wichtig und richtig ist. Nach dem OVG Sachsen reicht es für ein Schnellverfahren schon aus, dass mit jedem Tag an dem ein Kind nicht in eine Kita darf, dieser verlorene Tage nicht wieder zurück erlangt werden kann. Wir finden, dass das zu hundert Prozent der richtige Weg ist und sehen es sehr kritisch, dass die Gerichte hierzu so unterschiedlich urteilen. Was kann das Kind für die berufliche Situation der Eltern? Haben nur Kinder von berufstätigen Eltern ein (effektives) Recht auf einen Betreuungsplatz? Ein weiterer Aspekt, der vollkommen missachtet wurde, sind die Bedürfnisse der Eltern. Frühkindliche Erziehung im Rahmen der KiTa bzw. des Kindergartens bietet Müttern und Vätern die Möglichkeit, wieder in ihren Beruf zurückzukehren. Wenn sie jedoch keinen Betreuungsplatz zugeteilt bekommen bzw. ihnen das Recht auf Dringlichkeit verwehrt wird, so ist es nicht verwunderlich, dass sich das ein oder andere Elternteil schlichtweg nicht ernst genommen fühlt. Es ist paradox: Ohne Kinderbetreuung kein Job – ohne Job keine Kinderbetreuung. So steht das OVG NRW nicht nur der Zukunft des Kindes, sondern auch der der Eltern im Weg.